Antwort Stadtbrief

Statt für alle - Stadt für wenige

„Zürich. Die offene Schweiz.“ – so der Slogan, mit dem sich die SP Stadt Zürich im derzeitigen Wahlkampf präsentiert. Wer den dazugehörigen Stadtbrief der Partei liest, kann sich an vielen Stellen nur die Augen reiben:
„Freiheit ist in Zürich kein Privileg. Wer ein Teil dieser Stadt sein möchte, gehört dazu.“
Verglichen mit dem, was in letzter Zeit im Bereich der Asyl- und Ausländer_innenpolitik in Zürich unter Mitwirkung der SP auf verschiedenen politischen Ebenen geschehen ist, erscheinen diese Aussagen wie ein Hohn. Sie verkennen die Lage der Stadt und hüllen sie stattdessen in ein neoliberales Gewand der Global Cities, in denen Toleranz, Offenheit und Freiheit zu notwendigen Markenzeichen werden.

Rückblick: Seit Sommer 2016 verfügt das Zürcher Migrationsamt unter politischer Führung des SP-Regierungsrates Mario Fehr systematisch Eingrenzungen gegenüber Menschen in den Zürcher Notunterkünften. Damit sind sie faktisch von der Stadt Zürich ausgeschlossen. Ihr Aufenthalt in der Stadt wird zur Straftat. Mit der neuen Asylgesetzrevision, die auf Bundesebene unter Federführung von SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga ausgearbeitet wurde, wird diese Ausgrenzungspolitik in der Zukunft noch massiv verschärft. Und auch das Zürcher Stimmvolk tendiert immer mehr zu einer restriktiven Politik des Ausschlusses: Die kantonale Abstimmung zur Abschaffung der Sozialhilfe für vorläufig Aufgenommene im letzten Herbst ist mit deutlicher Mehrheit auch in der Stadt Zürich angenommen worden.

Die SP Stadt Zürich setzt diesen Entwicklungen wenig entgegen. Keine deutlichen Töne zur Mitverantwortung der eigenen Partei. Stattdessen versteckt man sich hinter Aussagen über politische Zuständigkeiten und inszeniert die Stadt als vorbildliches Bollwerk gegenüber fremdenfeindlicher Politik:

Beispiel neues Bundesasylzentrum: Was auf den ersten Blick als positiver Gegenentwurf erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Baustein einer Asylpolitik, die Menschen immer mehr in verschiedene Gruppen teilt. Dabei werden ihre Bewegungsfreiheit sowie ihre Grundrechte systematisch eingeschränkt. Im neuen Bundesasylzentrum in der Stadt werden zukünftig vor allem Personen mit einem aussichtsreichen Asylgesuch untergebracht. Alle anderen landen spätestens nach negativem Abschluss des beschleunigten Verfahrens in Zentren ausserhalb der Stadt, wo sie mit Ausgangssperren und Handyverbot von der Gesellschaft isoliert werden. Die Stadt wird somit zur privilegierten Zone für „echte Flüchtlinge“.

„Zürich. Die offene Schweiz.“ ist nicht nur ein überheblicher Affront gegenüber dem Rest des Landes, vielmehr verbirgt sich hinter diesem Ausspruch eine ins Positive gewendete Abgrenzungspolitik, die ausschliesslich darauf ausgerichtet ist, im eigenen politischen Gärtli alles richtig zu machen. Schlimmer noch: Die als beispielhaft angepriesene Rede vom sozialpolitisch innovativen Zürich als „Labor, in dem neue Ideen geboren werden und ihre ersten Schritte nehmen“ verschweigt, dass die damit angesprochene Drogenpolitik der 90er Jahre zu genau den repressiven gesetzlichen Massnahmen geführt hat, die heute gegen abgewiesene Asylsuchende angewendet werden. Mit Instrumenten der „Ein- und Ausgrenzung“ können sie aus der Stadt ausgeschlossen und – ohne akuten Grund – monatelang im Gefängnis weggesperrt werden. Spätestens hier wurde der realen Umsetzung einer „Stadt für alle“ der rechtliche Boden entzogen. Der Leuchtturm Zürich hat Wirkung gezeigt: Die sogenannten Zwangsmassnahmen wanderten ins nationale Ausländergesetz ein. Seither ist die Stadt Zürich nicht mehr zuständig darüber zu entscheiden, wer sich in ihr aufhalten darf und wer nicht.

Mario Fehr nutzt diese Möglichkeiten. Das Migrationsamt Zürich, das sich mitten in der Stadt befindet, hat er zu einem Ort der Angst ausgebaut, der niemandem das Gefühl einer offenen und toleranten Stadt gibt. Es ist an der Zeit dagegen lauter die Stimme zu erheben, hinzustehen und deutliche Zeichen zu setzen, dass eine solche Politik menschenverachtend und gefährlich ist. Wer demgegenüber schweigt oder mit verzerrten Bildern diese Zustände beschönigt, macht sich mitschuldig an Ausgrenzung, Entrechtung und täglicher Gewalt. Eine Sozialdemokratie, die einen solchen Politiker in den eigenen Reihen toleriert, schafft sich langfristig selbst ab.

Dieser Brief ist kein Aufruf zum Wahlboykott. Er ist eine dringliche Aufforderung zu Nachdenken, Handeln und Widerstand – innerhalb und ausserhalb der SP. Jede Stimme zählt. Nicht nur die in der Wahlurne, von der sowieso ein Drittel der Stadt ausgeschlossen bleibt. Für eine Stadtpolitik, die Städte nicht als isolierte, neoliberale Musterbeispiele begreift. Es muss mutigere Wege geben, linke Politik zu vertreten. Dazu gehört, die vielen unterschiedlichen und eigenen Möglichkeiten zu nutzen, sich gesellschaftspolitisch einzumischen und zu engagieren.

Für solidarische Städte, die sich ändern wollen
 
 
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